Presse
Der mit dem Holz singt
Geigenbauer Frank Eickmeyer auf den Spuren Stradivaris
Aus der Zeitschrift: "Dolce", März 2000
Auch der Mond spielt Geige. Wind, Wetter, Natur – sie alle fiedeln mit, sobald ein Virtuose über die Seiten streicht. Wenn Geigenbauer Frank Eickmeyer (36) im Lastwagen die Serpentinen zum Latimar-Massiv in den Dolomiten hinaufkurvt, befindet er sich auf kosmischem Trip, fast wie die Weltraumfahrer.
Er sucht über der 1200- Metergrenze das Fichtenholz für den perfekten Klang. Dafür hat er vorher den astronomischen Kalender konsultiert.
"Die Stämme müssen bei abnehmendem Mond geschlagen werden", lautet die Faustregel: Nur wenn die Lymphe des Baumes in den Wurzeln steckt, lässt sich das Holz für harmonische Resonanzkörper verwenden.
In anderen Mondphasen ist es zu feucht, und im Instrument verbleiben für immer Spannungen. Zwar gibt es Tonholzhändler, aber der Mondkontrolle wegen klettert er lieber mit einem Förster durch den Dolomitenwald über der Tausendmeter-Grenze.
Vor Ort sucht er sich den Kandidaten für seine Instrumente aus: "Ich möchte den Baum sehen und erfahren, wie er gewachsen ist. Zur Fichte gehört der Drehwuchs. Da gibt es Riesen, die sich ganz stark und andere, die sich schwach gedreht haben. Was wiederum für den richtigen Zuschnitt der Geigendecken, der senkrecht zu den Jahren erfolgen muss, wichtig ist."
Ist der Baum gefällt, geht Eickmeyer vor dem Stamm auf die Knie und presst das Ohr an die frische Schnittwunde, während sein Kollege vier Meter weiter mit einem Hammer aufs Holz klopft. Wenn es geeignet für ein Streichinstrument ist, "singt" der Baum.
Schon die Cremoneser Andrea Guarneri (1626-1698) und Antonio Stradivari (1644-1737), Säulenheilige der Geigenbauer, zelebrierten das magische Ritual auf den Dolomitenholzwegen. "Die Violine ist ein Kind Italiens", urteilt denn auch Horst Seegers "Musiklexikon": "Die italienischen Geigenbauer sind es, die der Violine Form, Schönheit und Fülle des Klanges und Ausweitung der Spielfähigkeit in dem Maße gaben, dass alle Versuche der letzten 200 Jahre, sie durch ein Instrument gleicher Funktion zu ersetzen, fehlschlugen."
Nur was treibt einen Schwaben wie Eickmeyer vom Bodensee nach Bologna? "Die Macht des Schicksals", findet er ironisch. Zu den Mosaiksteinen seines Werdegangs gehört die Familie, in der jeder sein Instrument spielte. Frank war der Cellist – ein Talent, sagten die Erwachsenen. Er wurde groß in Meersburg in einem Haus am Waldrand: "Holz hat mich von Kindheit an fasziniert."
Überlingens Waldorfschule fördete die Musik- und Bastelbegabung. Nur dass er irgendwann nach einem Cello-Konzert zweifelte: "Musik steht in der Zeit. Sie fließt, vergeht, weil sie nicht stehenbleiben kann. Nach dem Beifall bleibt der schöne Eindruck, aber nichts Konkretes. Ein Streichinstrument ist eine handfeste Vorgabe für Musik. Deshalb habe ich beschlossen, Geigenbauer zu werden. Wenn ich jetzt an einem Instrument arbeite, habe ich immer das Gefühl zu musizieren. Wenn ich spiele, konstruiere ich."
Wo lernen, im bayrischen Mittenwald oder im italienischen Cremona? Frank bewarb sich in beiden Geigenbauer-Städten." In Wirklichkeit handelt sich um eine Scheinalternative, weil Mittenwald von tausend Kandidaten nur sieben als Lehrlinge akzeptierte. In der Aufnahmeprüfung musste man als Handwerksprobe eine Rosette sägen, dann zeichnen und vorspielen. Die Deutschen versuchen, alles zu erschweren und ohne Meistertitel, den man nach drei bis vier Lehrlings- und drei bis vier Gesellenjahren bekommt, darf man kein Geschäft aufmachen."
Da er mitten im Studienjahr startete, machte er einen ersten Abstecher zum Reinschnuppern an die Geigenbauschule in Gubbio (Umbrien). Dann die Übersiedlung nach Cremona, wo ihn der Bescheid erreichte, er habe in Mittenwald bestanden. Er wollte nicht, aber die Freunde rieten ihm im Chor: "Eine solche Chance darfst du nicht vergeuden." Aber wen Mamma Italia einmal an die Brust genommen hat, lässt sie nur schwer wieder los.
Frank zog nach Oberbayern, träumte jedoch, er würde als Anhalter an der Brennerstrafle stehen. "Drill wie bei den Gebirgsjägern, die Meister sind hart. Oft brachen Studentinnen in Tränen aus", erinnert er sich an Mittenwald.
"In Cremona sitzen 300 Geigenbauer auf einem Fleck. Das löst Neurosen aus." Im zweiten Anlauf steuerte er Parma an, absolvierte bei Meister Scrollavezza die Lehre. Um dann nach Bologna eben in jene Via del Pratello zu ziehen, unter deren Portici hinter der Hausnummer 29A jetzt unter den schwarzen Deckenbalken seine Werkstsatt steckt. Eine dünne, lange Strafle, heute Fußgängerzone, in der Frank immer wieder mal musiziert.
Ein deutscher Instrumentenbauer in Bologna? "Im Süden nichts Neues", sagt der Historiker. Die Laute war der Vorgänger der Violine: 1492 wohnte Giovanni dei Liuti (Hans von den Lauten) an der Piazza Maggiore. Der 1552 in Bologna gestorbene Lukas Mahler wird von deutschen Experten als "Stradivari der Laute" verehrt: Die Augsburger Fugger kauften seine Instrumente auf. Mark Unverdorben und Hans Pos gründeten unter den Due Torri weitere Sippen, die – zumeist mit Holz aus den Bayrischen Alpen – mit Saiteninstrumenten reich wurden. Die Bologneser störte nicht, dass die Gastarbeiter deutschtümelten und vornehmlich untereinander heirateten. Im Gegensatz zu Eickmeyer, der als Etikett den übersetzten Namen "Francesco Dalla Quercia" in seine Instrumente klebt: "Italienische Geigen gelten als die besten. Die Kunden wollen einen italienischen Autor."
Nicht nur Cremona, auch Bologna kann eine solide Geigenbauertradition vorweisen. Raffaele Fiorini&Sohn etwa waren im 17. Jahrhundert so berühmt und wohlhabend, dass sie das Erbe von Antonio Stradivari aufkaufen konnten – erst später hat die Stadt Cremona den Nachlass wieder zurückerworben. Heute wird eine Guarneri oder Stradivari von zwei Millionen Euro aufwärts gehandelt. Eickmeyer: "Es sind Kult- und Statusobjekte. Die Solisten schreiben eine solche Renommier-Geige ins Programmheft, um das Publikum zu beeindrucken. In Wirklichkeit spielen sie oft auf einer guten Kopie, weil das Original zu wertvoll ist, um den Risiken des Alltags ausgesetzt zu werden."
"Die Stradivari hat einen silberhellen, markanten, harmonischen Klang und verkörpert auch vom Bau her die Perfektion. 'Oboenartig' und auch 'apollinisch' sind weitere Stradivari-Attribute, während Guarneri Del Gesú's Instrumente gröber gearbeitet sind, weich, dunkel, flötenartig und 'dionysisch' klingen. Die G-Saite wurzelt unheimlich tief, als ob sie durch die Erde gespannt wäre. Stradivaris Saiten dagegen scheinen durch den Himmel gezogen", so Eickmeyer.
Guarneris Lied von der Erde, Stradivaris "Sphärenklänge": Geigen haben nicht nur ihr Gemüt, sondern sind auch spezifisch motiviert. Kammermusiker brauchen Streichinstrumente mit wohltemperiertem Klang, der Solist muss beim Fortissimo auch fernste Winkel großer Konzertsäle zum Vibrieren bringen.
Der Geigenbauer ist ein Seiltänzer über vielen Abgründen. Zunächst bringt er eigene Gusto- und Klangvorstellungen ein, die jedoch selten mit jenen der Kunden übereinstimmen: "Wenn Sie fünf Musiker nach dem idealen Klang fragen, kriegen Sie fünf verschiedene Antworten. Jede Epoche hat ihre eigene Musiksprache. Der Kammerton A wurde von 415 Herz im 16. Jahrhundert auf 440 Herz von heute geliftet – um mehr als einen Halbton also. Für "philologische Aufführungen" hat man angefangen, Instrumente wieder zurückzubauen, um so den ursprünglichen Barock-Sound zu erreichen. "Inzwischen ertrage ich Barock-Konzerte auf modernen Instrumenten nicht mehr", meint Eickmeyer, der die sensiblen Darmsaiten als "demokratisch" und harte Stahlseiten als "totalitär" einstuft: "Ich habe ein Ziel, nämlich wenigstens einmal alle Saiteninstrumente nachzubauen, die es je in der Musikgeschichte Europas gegeben hat." Eine Geigendecke wiegt 60 bis 75 Gramm, misst mehr oder weniger zweieinhalb bis dreieinhalb Millimeter und muss einen Druck von 40 bis 50 Kilo aushalten.
Je dünner die Decke, desto besser die Ansprache zu Beginn. Nur: Holz bleibt lebendig, auch wenn der Baum gefällt ist. Es reift wie der Wein und eine zu dünne Decke am Start kann bald Ermüdungserscheinungen zeigen, und das Instrument wird unbrauchbar.
Der Violinenmacher darf nicht zuviel Holz wegnehmen, damit sein Geschöpf im Marathon der Zeit durchhalten kann. 14.000 Euro kostet ein Francesco Dalla Quercia-Cello, 8.000 Euro eine Bratsche, 7.000 Euro eine Geige. Kunden sind Orchester- und Hobbymusiker aus der ganzen Welt. Auch Kentaro Yoshii, Solo-Cellist der Wiener Symphoniker, kaufte bei ihm. "Der ideale Auftrag war der eines ganzen Quartetts, d.h. von zwei Geigen, Viola und Cello, weil ich damit eine Klangvorstellung rundum verwirklichen konnte", erklärt der Instrumentenbauer. "Die Chinesen drängen auf den Markt. Sie haben in Cremona studiert und sind von den Preisen her unschlagbar. Ihr Geigenholz kommt aus dem Himalaja, der Sound ihrer Instrumente ist rund und voll, aber ohne Biss und darum nur als Schülerinstrumente brauchbar. Deshalb sind sie keine Konkurrenz", so Eickmeyer.
Computer über alles: Wäre es nicht möglich, damit eine Stradivari nachzubauen? Der Geigenbauer schüttelt den Kopf: "Da wurden schon Millionen ausgegeben, aber alle Versuche gingen schief. Weil es keine uniforme Musik und kein objektives Klangideal gibt. Ein Instrument ist mehr als ein Holzkasten mit Saiten. Ohne das Gespür des Meisters gibt es keine gute Violine."
Veit Mölter
Geigenbauer verfolgt Dieb und Geige
Eine gestohlene "Poggi"-Geige im Wert von 100 Millionen Lire wurde in Sicherheit gebracht. Der Eigentümer ist ein Geiger des städtischen Orchesters.
aus : "La Repubblica" vom 11. April 2000"
Ich machte den alten Geigenkasten auf und hatte eine "Poggi" von 1968 vor mir. Der Korpusumriss, die Schnecke, die Verarbeitung, es war mir sofort klar, dass es die Geige war, die vor zwei Monaten gestohlen wurde".
Frank Eickmeyer, Geigenbauer in der Via del Pratello, hat nach einer halsbrecherischen Verfolgungsjagd die 100-Millionen Geige gerettet, die zwei Monate zuvor einem Geiger vom Stadtorchester in Bologna gestohlen wurde. Schon zwei Jahre zuvor war ihm Ähnliches passiert.
"Vor wenigen Tagen präsentierte sich ein junger Italiener mit zum Zopf zusammengebundenen langen Haaren in meinem Atelier." Ich habe diese Geige in einem Keller gefunden, aber ich verstehe nicht viel davon und möchte sie verkaufen", sagte er, indem er den Kasten öffnete und mir das Schmuckstück unter die Nase schob.
Als ich feststellte, dass es eine "Poggi" war, fing ich an zu zittern: In mein Geschäft war eine schöne heiße Kartoffel gelangt (wörtliche Übersetzung aus dem Italienischen)!
Mir wurde also klar, dass die Geige gestohlen war. Nun, um Zeit zu gewinnen und Hilfe zu holen, sagte ich, dass ich in diesem Moment kein Geld hätte, doch wir könnten zu einem alten Sammler gehen, der die Geige bestimmt kaufen würde. Der "Verkäufer" schöpfte keinen Verdacht und folgte mir. Während wir nebeneinander hergingen – setzt Frank fort – hielt ich meinen Arm stets dicht am Geigenkoffer, den er sich umgehängt hatte, um ihn im rechten Moment dem Dieb zu entreißen. Das Geschäft des Sammlers war jedoch geschlossen. Nun begann ein subtiles Spiel zwischen "Wächter" und "Dieb".
Eine halbe Stunde lang führte Frank den Dieb durch die Straßen des Viertels, bis sie schließlich vor der Wache der Stadtpolizei in Via San Rocco standen. "Ich klopfte an die Glastür".
Ihm wurde die Situation klar und er machte sich sofort auf die Flucht. "Doch ich schaffte es, ihm rechtzeitig die Geige zu entreissen". An diesem Punkt begann Frank die Verfolgung. An Porta San Felice verlor er jedoch die Spur des Diebs. "Noch atemlos öffnete ich den Geigenkasten" – führt er fort – "die Geige war voll Feuchtigkeit und im Kasten befanden sich die Fotos des Eigentümers.
Nun kamen mir Zweifel, ob der Mann, der zu mir ins Geschäft kam, der wirkliche Dieb war, oder ob er die Geige wirklich im Keller gefunden hatte.
Kurz und gut, das wertvolle Stück ist in die Hände des Besitzers zurückgekehrt und auf Frank wartet nun eine gute Belohnung: "Es war nicht einfach, ihm die Geige zu entreissen".